Freitag, 20. Oktober 2006

Gratis ist umsonst

oder: Warum 0 = 0 = gratis = umsonst ist

Den Hotline-Kracher der Woche verdanke einer Kollegin. Nachdem es dieser auch nach dem vierten Erklärungsversuch nicht gelungen ist, einem Kunden die Positionen einer unserer Rechnungen zu erläutern, bedachte sie mich mit dem besonders resistenten Kunden, und noch dazu am Freitag - an dieser Stelle noch mal recht herzlichen Dank ;-)

Grund des Anrufes war eine unklare Rechnungsposition über 0,00 EUR. Der Kunde erhielt einen Artikel als Gratisdreingabe. Damit die Logistik in unserem ERP-System wieder stimmt, muss der Artikel fakturiert werden. Da der Verkäufer dem Kunden zusagte, dass es den Artikel gratis gibt, wurde er korrekt mit 0,00 EUR berechnet.

Der fünfte Anlauf einer telefonischen Erklärung verlief dann in etwa so:

Ich (motiviert): Guten Tag, mein Name ist $Name. Meine Kollegin erläuterte mir bereits, dass Sie eine Frage zu einer Position auf unserer Rechnung $Nummer haben.


Kunde (hörbar aufbrausend): Ja, ich finde es unverschämt, dass Sie mir einen Artikel berechnen, den mir ihr Verkäufer umsonst versprochen hat.


Ich (verständnisvoll): Wenn man Ihnen einen Artikel gratis zugesagt hat, dann sollte der auch nicht berechnet werden - da stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Können Sie mir bitte nach einmal sagen, um welchen Artikel es sich handelt und gegebenenfalls in welcher Menge?


Kunde (vorwurfsvoll): Ja, verdammt, 10 Stück von $Artikelnummer, $Artikelname. Das ist ganz schön unseriös von Ihnen!


Ich (analytisch): OK, ich schaue sofort nach. Bitte nehmen Sie doch bitte noch einmal die besagte Rechnung zur Hand. Unter Position 3 sind 10 Stück $Artikelnummer, $Artikelname vorhanden. Das dürften die Artikel sein, die Ihnen unser Verkäufer gratis zugesagt hat.


Kunde (genervt): Ja, das sagte ich doch schon. Was ist daran so schwierig zu verstehen, verdammt.


Ich (beruhigend): Ich möchte nur sicher gehen, dass wir über die gleiche Angelegenheit sprechen. Für die in Position 3 gelisteten Waren haben wir ihnen 0,00 EUR berechnet. Bitte vergleichen Sie die Summe am rechten Rande der Rechnung.


Kunde (gelangweilt): Ja, ja, schon klar. Aber das beantwortet nicht meine Frage, warum Sie mir die Artikel berechnen.


Ich (immer noch motiviert): Nun, wir haben Ihnen 0,00 EUR berechnet. Um den Charakter der Gratislieferung zu unterstreichen, finden Sie unter der Position 3 den Hinweis "Gratis-Lieferung ohne Berechnung".


Kunde (nicht mehr bei der Sache): Ja, ja , ja. Erzählen Sie mir was Neues.


Ich (leicht genervt): OK, wir haben Ihnen den besagten Artikel für 0,00 EUR verkauft. Das könnte man anders ausgedrückt als Gratis-Lieferung bezeichnen, oder?


Kunde (wieder aufgewacht): Hm ... ja, schon. Dann gibt es aber auch keine Rechnung dafür!


Ich (wieder mal motiviert): Und, wo ist die Sache unklar?


Kunde (verbales Formtief überwunden): Sie wollen mich jetzt nicht verarschen, oder?


Ich (nach dem Rhetorik-Handbuch kramend): Nein, selbstverständlich nicht. Ich versuche nur zu verstehen, was wir auf unserer Rechnung möglicherweise nicht verständlich erläutert haben.


Kunde (Adrenalinpegel bei 120%): SIE HABEN MIR DEN ARTIKEL BERECHNET, OBWOHL DER HERR $VERKÄUFER MIR ZUGESAGT HAT, DAS ICH DEN ARTIKEL UMSONST BEKOMME!


Ich (ratlos): Herr $Verkäufer hat Wort gehalten. Wir haben Ihnen doch gar nichts berechnet.


Kunde (Halsschlagader platzt gleich): UND WARUM STEHT DER SCHEIß-ARTIKEL AUF DER RECHNUNG?


Ich (total unentspannt): Aus systemtechnischen Gründen müssen wir jeden Artikel, den wir verschicken, auf einer Rechnung festhalten. Sonst stimmt unser Lager nicht mehr. Wenn wir jedoch einen Artikel auf einer Rechnung mit einem Wert von 0,00 EUR aufführen, dann bedeutet das doch nicht, dass wir Ihnen den Artikel berechnet haben. 0,00 EUR ist gratis, umsonst. Sie müssen für den Artikel nichts bezahlen. Auf der anderen Seite müssen Sie aber den Zugang in Ihrem Lager auch erfassen. Wenn Sie einen Lieferschein haben, bei dem die Artikel und Mengen nicht mit denen auf der Rechnung übereinstimmen, dann gibt das aber auch bei Ihnen ein Problem.


Kunde (hyperventiliert): Ich muss den Artikel also nicht bezahlen?


Ich (gedanklich von 10 abwärts zählend): Nein. Zu zahlen sind nur die restlichen Posten auf der Rechnung.


Kunde (Trauma überwunden): Hm ... ich habe das alles nicht verstanden. Ich habe den Eindruck, Sie sind nicht ganz ehrlich zu mir.


Ich (erleichtert): Da täuschen Sie sich. Wir sprechen miteinander, weil ich möchte, dass Sie verstehen, was wir Ihnen berechnet haben. Wenn Ihnen etwas unklar ist, dann müssen wir sogar unbedingt miteinander darüber sprechen. Es ist ja schließlich nicht in unserem Interesse, wenn Sie unzufrieden sind.


Kunde (Agressionspotential für heute abgebaut): Ja, also, ich verstehe, wie gesagt, nicht, warum Sie mir eine Lieferung berechnen, wenn ihr Verkäufer mir gesagt hat, ich bekomme das gratis.


Ich (Didaktik-Bibliothek im Gehirn geladen): Gut, ich habe Ihre Frage verstanden. Wenn etwas 0,00 EUR kostet, könnte man das, Ihrer Meinung nach, als gratis oder umsonst bezeichnen?


Kunde (besserwisserisch): Ja, klar.


Ich (euphorisch das Ziel vor Augen): Fein, für die Artikel in Position 3 der besagten Rechnung haben wir genau das getan. 0,00 EUR = gratis, umsonst.


Kunde (leicht gereizt): Hm ... ja, aber es steht auf der Rechnung.


Ich (jetzt nur keinen Scheiß machen): Sicher, aber es kostet trotzdem nichts, wirklich. Wir haben sogar den Satz "Gratis-Lieferung ohne Berechnung" hinzugefügt, um das noch einmal deutlich zu machen. Ich kann die Gratis-Lieferung allerdings nicht gänzlich unerwähnt lassen, da, wie erläutert, sonst sowohl Ihr als auch unser Lager nicht stimmen würde.


Kunde (gönnerhaft): Na gut, dann will ich ihnen mal glauben.


Ich (devot): Schön, ich gebe Ihnen aber auch gerne noch mal schriftlich, dass Sie den Artikel wirklich umsonst erhalten haben, wenn Sie möchten.


Kunde (fordernd): Ja, das wäre gut. Nicht das Sie nächste Woche bei mir ankommen und Kohle dafür haben wollen.


Ich (entschlossen): OK, ich kümmere mich heute noch darum.


Kunde (überheblich): Einverstanden. War das jetzt aber schwierig. Sie müssen unbedingt noch lernen, sich verständlicher auszudrücken. Da blickt ja kein Schwein durch.


Ich (gleich vom Stuhl fallend): Selbstverständlich, danke für den Hinweis.



Und was lernen wir daraus: Rechnungen sind nicht für Schweine. Wenn Schweine Rechnungen also nicht verstehen, ist das also gar nicht schlimm, oder?

So, ich muss erst mal mein Hemd wechseln und zwei Talcid einwerfen.

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8 Kommentare:

Am/um Freitag, Oktober 20, 2006 12:39:00 PM , Anonymous Anonym meinte...

you made my day :D

 
Am/um Freitag, Oktober 20, 2006 6:42:00 PM , Anonymous Anonym meinte...

Wie man wieder sieht - man kann gar nicht so dumm denken wie Menschen sein können.

Immer wieder erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Menschen bis zum Mond fliegen können und andere der gleichen Spezies nicht mal schaffen 0,00€ als umsonst anzuerkennen.

Die natürlich Auslese - so grausam sie auch ist - hat definitv Vorteile

 
Am/um Freitag, Oktober 20, 2006 7:03:00 PM , Anonymous Anonym meinte...

Bei sowas wünscht man sich doch, daß Charles Darwin bei seiner Selektion auch ein beschleunigtes Verfahren implementiert hätte...

...man hätte dem Kunden nach diesem Telefonat eigentlich das doppelte berechnen müssen...und zwar nicht von 0,00€!

 
Am/um Freitag, Oktober 20, 2006 9:53:00 PM , Blogger CC-Agent meinte...

Schick doch einfach eine Gutschrift über 10x 0,00 Euro hinterher, zusammen mit einem Entschuldigungsschreiben :D

 
Am/um Freitag, Oktober 20, 2006 11:14:00 PM , Anonymous Anonym meinte...

OMG!
Der Kerl sollte erstmal seinen Abschluss auf der STF-University machen.

 
Am/um Montag, Oktober 23, 2006 2:49:00 PM , Anonymous Anonym meinte...

Also die Idee von CC-Agent (Gutschrift über 10X 0,-- Euro) scheint mir die beste Lösung des Problems :-)
Abenteuerlich zu sehen, wieviele Blödmänner die nicht mal nen Eimer Wasser umkippen können, in wichtigen Positionen Verantwortung haben.
Nicht vorstellbar wie es sein muß, wenn man u.U. den ganzen Tag mit solchen Idioten zu tun hat oder so einen gar in seiner eigenen Firma hat....

 
Am/um Montag, Oktober 23, 2006 5:11:00 PM , Blogger limone meinte...

eine woche mit solchen kunden und ich wäre wahlweise an magendurchbruch oder herzinfarkt verstorben oder wirres zeug brabbelnd in die geschlossene eingeliefert worden... mamma mia.

 
Am/um Freitag, Oktober 27, 2006 8:27:00 PM , Blogger The Renitenz meinte...

Gott sei dank haben wir nur selten solche Spakkos ;-)

 

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