Samstag, 3. November 2007

Wähl mich

Nachdem ich schon vor einigen Jahren zum Nichtwählertum konvertiert bin, beobachte ich das Rauschen in der politischen Landschaft mit wachsender Begeisterung. Für den interessierten Nichtwähler ist in diesem Zusammenhang das Lesen einer schweizerischen oder österreichischen Tageszeitung empfehlenswert - man kann sich dort als Bundesdeutscher ganz prima von außen beobachten.

Aber zurück zum Thema: Wenngleich ich, genau wie die meisten anderen Bundesbürger, von den im Rahmen der Agenda 2010 beschlossenen Änderungen finanziell betroffen bin, so komme ich nicht umhin, die Notwendigkeit der Umgestaltungen des Sozialstaates anzuerkennen. Und wenn man sich heute, gut vier Jahre später, mal den Zustand der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung anschaut, so ist das Ergebnis verheerend: Entweder hat man nur ein paar kosmetische Korrekturen vorgenommen oder aber die finanzielle Situation ist dramatischer denn je.

Spätestens jedoch nachdem die SPD den Ausstieg aus der ohnehin kaum ernsthaft gemeinten Umgestaltung des Sozialstaates erklärt hat, frage ich mich, wie glaubhaft man als politische Kraft danach noch sein kann. Der populistische Charakter von Forderungen wie der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns oder der Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld ist so offensichtlich wie ein Schild mit der Aufschrift "Wähl mich" auf dem Rücken.

Meines Erachtens sollte man einer ganzen Reihe Politikern das Recht auf Vertretung des Volkes mangels Sachverstand entziehen. Sie sind nämlich schlicht unfähig sowohl rationale Entscheidungen zu treffen als auch diese über die Grenzen der eigenen Partei hinweg - allein funktioniert so etwas nämlich nicht - durchzusetzen.

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7 Kommentare:

Am/um Samstag, November 03, 2007 8:52:00 PM , Anonymous Anonym meinte...

Du bist Nichtwähler? Auch nicht zu Kommunalwahlen? Wenn es z.B. darum geht, ob ein neues Einkaufszentrum vor Deiner Haustür gebaut werden soll oder neue Kindergärten?

Findest Du, dass das die besonders tolle Art ist, eine Demokratie am Leben zu erhalten? Was meinst Du denn bitte, was passiert, wenn Du nicht wählst?

Das ist so, als wenn ein verstocktes Kind sich in die Ecke setzt und sich weigert, mit den anderen Kindern zu spielen, aber nicht sagt, was ihm eigentlich nicht passt und erwartet, dass jetzt alle anderen alles fallen lassen, um herauszufinden, was ihm jetzt nicht passt und es keine einzige Anstrengung übernimmt, selbst etwas besser zu machen. Es ist völlig unkonstruktiv.

Einfach "dagegen" ist kein Grundprinzip. Es ist bequem und feige. Wenn Du meinst, dass Deine Grundsätze nicht hier vertreten werden, dann tu was dafür! Es gibt genug Möglichkeiten.

Oder meinst Du, dass Demokratie an sich total doof ist? Und wenn ja, was wäre denn bitte Dein Alternativvorschlag?

Tut mir leid. Ich tue mich schwer zu verstehen, was diese stolze "Ich bin Nichtwähler-Haltung" soll.

Menschen sind für Demokratie und Freiheit gestorben und sterben noch heute auf der Welt. Es ist soviel ich weiß, über 60 Jahre her, dass jemand ohne ordentliches Gerichtsverfahren hingerichtet wurde, weil eine Clique von Despoten meinte, das Recht zu haben, über Leben und Tod zu entscheiden. Willst Du diese Zeiten zurück haben?

Schließlich profitieren vor allem die Extremen von Nicht- und Protestwählern. Sie profitieren von Dir und den anderen, die so denken wie Du. Bist Du bereit, dafür die Verantwortung zu übernehmen. Für jeden einzelnen Extremen, der durch Deine Haltung in Deinen Landtag kommt?

Aber hier in Deutschland werfen einige Leute demokratische Errungenschaften einfach weg.
Warum? Aus Bequemlichkeit? Aus Enttäuschung? Es bringt nichts? Was hast Du denn selbst persönlich getan, damit sich was ändert? Wenn Du es nicht probiert hast, woher willst Du dann wissen, dass es nichts bringt? Aber es ist natürlich sehr bequem, das zu behaupten. Mach es zum Problem anderer Leute, das macht die Sache natürlich viel besser.

Was bitte hält Dich davon ab, Dich z.B. in der Kommunalpolitik Deines Wohnortes zu engagieren? Es gibt ständig die Möglichkeit auch am Wochenende und an Feiertagen je nach Gemeinde z.B. den Politikern vor Ort Deine Meinung kundzutun. Zu offiziellen Fragestunden oder zu den Parteiessen. Zu Karneval z.B. gibt es das Fischessen hier im Rheinland. Man kann sogar beobachten, was der Angebordnete aus Deinem Kreis im Bundestag macht. Du kannst Emails oder Briefe schreiben. Oder ist Dir Deine Freizeit wichtiger?

Es gibt Bürgerbegehren, das Petitionsrecht usw. http://www.politische-bildung-brandenburg.de/kommunal/akteure/buerger2.htm

Oder Du engagierst Dich ehrenamtlich im sozialen Bereich, wenn Du meinst, dass da was schief läuft. Wir sind z.B. im Schwimmverein und arbeiten vor allem in der Kinderförderung.

Es gibt so viele Möglichkeiten, sich zu engagieren. "Ich wähle nicht" ist aber keine davon.

P.S.: Das mag alles sehr harsch klingen, aber ich halte Demokratie und Freiheit für eine wichtige Errungenschaft und ich finde Deine Haltung und die anderer Menschen, die genauso denken, nicht sehr hilfreich.

 
Am/um Samstag, November 03, 2007 8:53:00 PM , Anonymous Anonym meinte...

Wer nicht wählen geht, darf auch nicht meckern. Punkt. Es gibt genug Parteien mit allen Geschmackrichtungen von Links bis Rechts zur Auswahl, und falls tatsächlich keine passende dabei ist, dann kann man auch selbst eine Partei gründen.

 
Am/um Sonntag, November 04, 2007 9:09:00 AM , Blogger The Renitenz meinte...

Das mit dem Meckern stimmt schon - so wollte ich das auch nicht verstanden wissen.

Allerdings kann man das Nichtwählen nicht pauschal mit Demokratieabkehr gleichsetzen. Nichtwählen kann auch Ausdruck von Toleranz sein, wobei ich Toleranz nicht mit Akzeptanz verwechseln möchte.

Meines Erachtens drücke ich mit der Wahl einer bestimmten Person oder einer Partei in gewisser Art und Weise sowohl mein Einverständnis als auch meine Zustimmung für dessen/deren Arbeit, Visionen, Ziele aus. Das wiederum setzt voraus, dass es eine gewisse Schnittmenge zwischen der eigenen Auffassung und das, für was die politische Kraft steht, existiert. Absolute Deckungsgleichheit setzte ich dabei natürlich nicht als Maßstab an. Wenn dies jedoch noch nicht einmal ansatzweise gegeben ist, dann kann ich nicht aus Überzeugung oder falsch verstandener Demokratie jemanden ein politisches Mandat erteilen. Alles andere entspricht der aktiven Unterstützung von Handlungsunfähigkeit.

Und, ehrlich gesagt: Wenn man mit guten Worten, rationalen Argumenten und offensichtlichen Fakten über viele Jahrzehnte kein Umdenken erreichen kann, dann bleibt sicher auch der Ausweg über den extremen Weg. Keine gute und vor allem wünschenswerte Option, aber eben eine Option. Allein die Auseinandersetzung mit dieser Möglichkeit könnte einen gewissen Anstoßcharakter haben.

BTW: Ich kenne meinen Abgeordneten persönlich. Ein netter Mensch, keine Frage, aber keinerlei Vision oder Engagement. Was könnte ein Schreiben an eine Partei bringen, deren Minister der ernsthaften Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen konsequent ausweichen, weil sie unbequem sind. Ich denke das muss man realistisch betrachten. Und Demokratie bedeutet schließlich auch, eine andere Meinung haben zu dürfen ;-)

 
Am/um Sonntag, November 04, 2007 2:56:00 PM , Anonymous Anonym meinte...

Ich kann Deine Kritik durchaus nachvollziehen. Im Moment ist der maximale Konsens gefragt. Jeder versucht, es allen Recht zu machen und deswegen sind die Resultate meist sehr unbefriedigend.

Andererseits, ist das wirklich ein Wunder?

Wer möchte denn wirklich Visionen sehen? Jedes Mal wenn irgendwo eine dringend notwendige Reform angeschoben werden soll, wobei einer Minderheit ihre Pfründe gekürzt werden müssen, geht ein Aufschrei durch die Gesellschaft. Das sei ja total ungerecht und überhaupt die sollen doch bitte woanders kürzen. Mit dieser Taktik erheischen sich die Blockierer dann auch noch Zustimmung in der Bevölkerung. Rationale Argumente? Ach, komm. Jeder sagt: Reformen ja, aber bitte nicht bei mir (bis auf ein paar Ausnahmen). Unvernünftig bis zum geht nicht mehr.

Auf diese Art und Weise fördern wir Menschen selbst diese auf maximalen Schmusekurs getrimmte Politik. Dieses Hin- und Herlavieren zwischen Positionen.

Einer Gesellschaft, der die Solidarität abhanden gekommen ist und die nur rummeckert, egal ob gerechtfertigt oder nicht, und in der jeder für sich selbst das Maximale rausholen will, ihm aber ziemlich egal ist, was es seinen Nachbarn oder die zukünftigen Generationen kostet. In so einer Gesellschaft, was soll denn da ein Poltiker groß tun?

Mal ganz, ganz ehrlich: Die Politiker sind auch nur Menschen und damit nicht viel besser als wir. Erwartest Du von Politikern, dass sie etwas Besseres sind als Dein Nachbar? Das halte ich für sehr unrealistisch. Die da oben, die waren zumindest mal wie wir. Warum sollte ich also von denen etwas verlangen, was noch nicht einmal in Deinem Betrieb funktioniert?

Wann hast Du das letzte Mal jemanden mit Fakten und rationellen Argumenten von irgendetwas überzeugen können? Hmm? In einer Zeit in der dem Bauchgefühl und dem subjektiven Empfinden mehr Wert zugesprochen wird als einer fundierten wissenschaftlichen Studie. In der keiner wirklich von seiner Meinung abweichen will, weil jeder von sich überzeugt ist, die Weisheit gepachtet zu haben? Wann hast Du das letzte Mal gesagt: Hmm, das hab ich so noch gar nicht gesehen oder vielleicht hab ich mich da geirrt.

Was soll also ein Politiker in dieser Zeit so viel besser machen? Jedes Mal wenn irgendjemand einen vernünftigen Vorschlag macht, wird er niedergemacht. Da kann man schon mal alle Illusionen verlieren.

Ich versuche daher im Kleinen gegen diese Unvernunft und Unsolidarität zu kämpfen. Im Verein, in unserem Betrieb, in der Familie. Aber ich gebe nicht auf. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Und irgendwie hab ich das Gefühl, dass Du aufgegeben hast.

P.S.: Du hast das Recht auf Deine Meinung, natürlich. Du musst in einer Demokratie aber auch damit leben, dass nicht alle Deiner Meinung sind und dass man der Meinung der Mehrheit folgt - selbst wenn die Deiner Meinung widerspricht. Außerdem sollte ein mündiger Bürger immer in der Lage sein, seine eigene Meinung kritisch zu hinterfragen und auch mal zu ändern. Ja, daran fehlt es - und fehlte es eigentlich schon immer.


Außerdem die Meinungsfreiheit ist teuer erkauft und muss immer und immer wieder aktiv verteidigt werden.

 
Am/um Montag, November 05, 2007 1:07:00 PM , Anonymous Anonym meinte...

Also ich kann die Haltung verstehen.

An Pizzabloggerswife: Du schreibst selbst, wir würden mit unserer Haltung - einem Aufschrei, wenn irgendwelche Pfründe gekürzt werden - den Schmusekurs der Politiker fördern. Das sehe ich nicht so, ich für mein Teil mache das nicht, und ich habe den Eindruck, dass dies nicht unbedingt "wir" sind, sondern vor allem die großen Lobbygruppen und die Industrie.

Politiker haben immer eine große Klappe, können Reden schwingen - aber dafür sind sie nicht da. Sie sind dazu da, Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen. Notfalls müssen sie dabei auch unpopuläre Maßnahmen durchsetzen, wenn es langfristig zum Wohle des Staates ist. Das würde aber voraussetzen, sich erst einmal Gedanken über das Wohl des Staates zu machen... Sie sind gewählt, weil sie - zumindest irgendwann einmal, als sie noch Ideale hatten und noch nicht von den Lobbyisten gekauft waren - sich für etwas eingesetzt haben und das auch argumentativ durchgesetzt haben.

Ich kann in der aktuellen Politik nichts dergleichen entdecken. Jeder versucht nur, sich selbst zu profilieren, sei es als Person oder als Partei. Die Sachfragen sind völlig unerheblich. Es ist meiner Meinung nach klar, dass ein solcher Politiker niemanden mehr überzeugen kann, weil er eben selbst nicht hinter der Sache steht, für die er in diesem Moment gerade spricht.

Und bitte komm´ mir nicht mit "meinem Abgeordneten" - Emails an ihn blieben bisher gänzlich unbeantwortet, wahrscheinlich ist er mit "Öffentlichkeitsarbeit" und seinem >7000-EUR-Nebenverdienst zu sehr ausgelastet.

Es mag sein, dass dies in der Kommunalpolitik noch nicht ganz so schlimm ist, aber dafür ist dort auch der Einfluss nicht so groß. Ich sehe genau das als eine Art "Opium für das Volk", man gaukelt ihnen vor, sie hätten einen Einfluss, aber die Bundespolitik macht hinterher sowieso was sie will.

 
Am/um Dienstag, November 06, 2007 12:20:00 PM , Anonymous Anonym meinte...

@wolfgang: Wenn es unpopulär ist, dann soll der Politiker es machen, wenn es dem Staat hilft.

Aha, und dann wird er deswegen nicht wiedergewählt und der nächste vom Volk gewählte Vertreter macht es rückgängig, weil er das im Wahlkampf so versprochen hat.

Wenn etwas unpopulär ist, dann will die breite Masse und damit das Volk diese Maßnahme nicht. Wenn er die Maßnahme dann dennoch durchsetzt, wird im vorgeworfen, dass am Volk vorbei regiert wird.

Das ist doch genau Dein Vorwurf, denn Du jetzt den Politikern machst.

Wenn der Politiker es nicht macht, wird im vorgeworfen, er hätte kein Rückgrat und sei populistisch.

Sehen wir hier ein Dilemma?
Wie man's macht, ist es falsch.

Und von wegen Lobby: Beispiel ADAC. Wer gibt denn dem ADAC die Macht? Hmm? Zum einen sicherlich die Gelder der Autoindustrie, zum anderen aber natürlich auch die Gelder der vielen, vielen Autofahrer, die im ADAC Mitglied sind. Wenn Du im ADAC bist, dann unterstützt Du aktiv deren Lobbyarbeit. Du kriegst dafür auch ganz schönen Service, logisch. Aber die politische Dimension solle man nicht verlachlässigen. Sieht man aktuell am Thema Tempolimit wieder.

Würden alle ADAC-Mitglieder geschlossen austreteten, dann würde die Lobby ADAC aber ganz schönes Muffensausen kriegen.

Weiteres Beispiel für Engagement: Es gibt die sogenannte "Energierebellen", die sich gegen die Preisabsprache der Energiekonzerne wehren und das heftig. 500 000 Menschen, die aus Protest geringere Strom- oder Gaspreise zahlen, sind kein Pappenspiel. Und Du musst nicht befürchten, dass Dir die Versorgung gekappt wird. Es gibt dazu bereits eine rechtliche Regelung, die das schützt. Das ist eine Macht, die Du persönlich ausüben kannst. Es gab im Oktober eine Petitionseingabe im Bundestag. usw. usf.

Wer sich nicht wehrt, hat schon verloren.

 
Am/um Dienstag, November 06, 2007 11:47:00 PM , Anonymous Anonym meinte...

@pizzabloggerswife: Du hast sicherlich (leider) Recht, dass die meisten Leute nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und auf Wahlversprechen hereinfallen. Dabei sollte eigentlich klar sein, dass niemand etwas zu verschenken hat (der Staat auch nicht) und somit irgendwo an anderer Ecke das Geld wieder hereingeholt wird.

Das das nicht von den "großen" kommt ist klar, die können sich einfacher wehren.

Im ADAC bin ich übrigens nicht und genau aus den Gründen, ich könnte mich nie mit ihren Standpunkten arrangieren.

Die "Energierebellen" sehe ich mit gemischten Gefühlen - Preisabsprachen sind sicherlich nicht im Sinne des Erfinders, eine Folge der meiner Meinung nach ohnehin schlechten Zentralisierung (wenn es nur noch wenige große Konzerne gibt können die sich leichter absprechen als wenn es viele Kleine wären...). Andererseits hat jede Leistung, auch Energie, ihren Preis, und "immer nur billiger", wie es viele fordern, geht eben nicht.

Genauso wenig wie das immer von unseren Politikern heraufbeschworene "Wachstum" - wohin sollen wir denn noch wachsen, wir haben doch hier schon alles...

Aber ich wollte hier keine "feindliche Übernahme" der Kommentare machen, belassen wir es besser dabei.

 

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